Die Veranstaltungsbranche hat sich von der Corona-Krise erholt, doch gestiegene Kosten, Fachkräftemangel und Unsicherheiten belasten viele Akteure. Zugleich treiben Nachhaltigkeit und Digitalisierung den Wandel voran. René Tumler, Geschäftsführer des EVVC, über aktuelle Herausforderungen, Innovationen und die Zukunft der Branche.
Messe & Event: Wie würden Sie die aktuelle Lage der Veranstaltungsbranche in Deutschland und Europa beschreiben? Welche Herausforderungen beschäftigen die Branche derzeit am meisten?
René Tumler: In insgesamten Zahlen hat sich die Branche im DACH-Raum durchaus gut von der Corona-Krise erholt. Beim Meeting- und EventBarometer, das im Mai den deutschen Veranstaltungsmarkt beleuchten wird, rechnen wir mit einem annähernden Erreichen des Vor-Corona-Niveaus. Die Konjunktur kommt allerdings nicht bei allen an: Insbesondere bei kleineren Venues, Technikdienstleistern und Soloselbstständigen ist die Lage vielerorts schlecht. Mit gestiegenen Kosten haben auch etliche Veranstaltungs-Centren zu kämpfen.
Locations in öffentlicher Trägerschaft sind vermehrt von Sparprogrammen betroffen, wenn Gelder für Kultur, Sport und Events gekürzt werden. Auch die Unsicherheit, welche durch kurzfristige Entscheidungen im Rahmen der Veranstaltungsplanung eingezogen ist, erschweren diese.
Keine optimale Ausgangslage, schwebt doch weiterhin die nachhaltige und digitale Transformation als wohl einer der großen Herausforderung über allem.
Die Pandemie hat die Veranstaltungsbranche stark getroffen. Welche nachhaltigen Veränderungen sehen Sie als Folge der Krise – sowohl im Veranstaltungsbetrieb als auch in der Zusammenarbeit mit Partnern und Dienstleistern?
Die Corona-Pandemie und ihre Folgen kann man zweifelsohne als die schwerste Krise in der Geschichte der Branche bezeichnen. Besonders enttäuschend war es damals für Locations und Veranstalter, von langer Hand geplante Events aufgrund von plötzlich geänderten politischen Vorgaben kurzfristig doch absagen zu müssen.
Auch wenn die sich stetig ändernden politischen Vorgaben natürlich der Vergangenheit angehören, ist auch nach Corona etwas von dieser Unsicherheit und Kurzfristigkeit geblieben, insbesondere auf Kundenseite.
Als positive Folge der Corona-Krise lässt sich aus unserer Sicht aber in jedem Fall das Zusammenrücken der Branche festhalten. Erstmals sprach die Veranstaltungswirtschaft mit einer Stimme und sorgte für eine so nie dagewesene Wahrnehmung in Gesellschaft und Politik. An diesen Schulterschluss halten wir mit Allianzen wie dem Forum Veranstaltungswirtschaft auch in der postpandemischen Zeit weiter fest.
Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Branche zunehmend präsent. Wie unterstützt der EVVC seine Mitglieder dabei, nachhaltigere Veranstaltungsformate zu entwickeln und umzusetzen?
Wie bereits einmal angeschnitten, betrachten wir den Umbau der Branche unter den Maximen der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit als die große Herausforderung der Gegenwart und nahen Zukunft. Bereits vor einigen Jahren haben wir uns das große Ziel gesetzt: Bis 2040 sollen alle Mitgliedshäuser des EVVC klimaneutral arbeiten.
Aufgrund der zahlreichen Synergien denken wir den nachhaltigen und den digitalen Wandel der Branche unter dem Begriff „Twin Transformation“ zusammen.
Als Verband unterstützen wir unsere Mitglieder in ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen zum Beispiel mit fairpflichtet – dem Nachhaltigkeitskodex der deutschsprachigen Veranstaltungswirtschaft und bei der Zertifizierung mit dem „Green Globe“-Standard. Außerdem lernen unsere Mitglieder durch den Austausch und Wissenstransfer im Verband voneinander.
Ab diesem Jahr wird es mit dem „Blauen Engel für Veranstaltungen“ zusätzlich ein neues Umweltzeichen geben, das auf unsere Initiative hin und unter unserer Mitarbeit entwickelt wurde.
Der Fachkräftemangel betrifft auch die Veranstaltungsbranche massiv. Was kann die Branche tun, um für junge Talente attraktiv zu bleiben, und wie adressiert der EVVC dieses Problem?
Der Fachkräftebedarf, über den aktuell sämtliche Branchen klagen, zieht natürlich auch an der Veranstaltungswirtschaft nicht vorbei.
Ich bin jedoch weiterhin davon überzeugt, dass viele junge Menschen Veranstaltungslocations weiterhin als spannende, interessante Arbeitsplätze wahrnehmen. Das zeigt sich u.a. an der positiven Resonanz auf Formate wie die von uns mitveranstalteten „Future Talents Days“. Auf dieser ersten Anziehungs- und Strahlkraft darf sich die Branche jedoch nicht ausruhen, sondern muss langfristig für junge Talente attraktiv bleiben.
Schon lange setzen wir uns für eine Anpassung des Arbeitszeitgesetzes ein, dass in seiner aktuellen Form nicht auf den Arbeitsalltag in unserer Branche ausgelegt ist. Durch flexiblere Arbeitszeitmodelle und eine Anpassung des Gesetzes, damit z.B. eine Veranstaltung vollständig von nur einem Mitarbeiter/Mitarbeiterteam betreut werden kann, bleibt Mitarbeitenden mehr zusammenhängende freie Zeit und mehr Freiheit und Sicherheit in ihrer Urlaubsplanung.
Technologie spielt eine immer größere Rolle bei Events – von hybriden Formaten bis hin zu innovativen digitalen Tools. Welche Entwicklungen halten Sie für besonders zukunftsweisend?
Das Spektrum der Möglichkeiten, das sich aktuell und zukünftig durch Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Augmented Reality ergibt, ist riesig. Die aktuelle Phase des von uns mitgegründeten Innovationsverbunds „Future Meeting Space“ hat so bspw. digitale Tools für Veranstaltungen wie „Eventtwin“, ein KI-unterstützter digitaler Zwilling für die effiziente Eventplanung, oder „Insaight“, ein ebenfalls KI-basiertes Berichtswesen für Veranstaltungen.
Der Schritt hin zu smarten Veranstaltungsorten mit fortschrittlichen Technologien wie IoT, AR/VR und KI verbessert das Gästeerlebnis und schafft einzigartige, immersive Erlebnisse, die den wachsenden Erwartungen der Teilnehmenden gerecht werden.
Einen nicht zu unterschätzenden Trend sehe ich in der Fokussierung auf hybride Veranstaltungsräume: Dies schafft Flexibilität für sowohl persönliche als auch virtuelle Veranstaltungen, um unterschiedliche Zielgruppenbedürfnisse zu befriedigen.
Nicht zuletzt geht für uns, wie bereits erwähnt, Nachhaltigkeit mit Digitalisierung und modernen Technologien Hand in Hand: Ob mit digitalen Tools wie „Sustainpoints“, ein Belohnungssystem für die emissionsarme Veranstaltungsanreise, oder innovativen Designs, die Gebäude mit Netto-Null-Energieverbrauch ermöglichen.
Die steigenden Energiekosten und die Klimakrise setzen Veranstaltungszentren unter Druck. Welche Maßnahmen oder Strategien empfehlen Sie, um diese Herausforderungen zu bewältigen?
In der Erfahrung aus unseren Mitgliedshäusern zeigt sich: Im Bestand mit kleineren Schritten wie einer intelligenten Steuerung der Gebäudetechnik anzufangen, zeigt oft bereits große Wirkung. Optimal ist es natürlich, über Photovoltaik-Anlagen oder andere regenerative Energiequellen einen Teil seines Stroms selbst zu produzieren.
Mittelfristig sind aber oft größere Investitionen für einen Umbau hin zu innovativer, nachhaltiger Architektur und Gebäuden mit Netto-Null-Energieverbrauch nötig.
Allgemeine Maßnahmen zu empfehlen, die für jede Veranstaltungslocation die optimale Lösung darstellen, ist jedoch schwierig. Je nach Baujahr, Größe und sonstigen Faktoren ist die Lage von Ort zu Ort individuell zu bewerten. Eine große Investition muss gut durchdacht sein und darf dem Veranstaltungs-Centrum nicht die wirtschaftliche Grundlage für sein Handeln nehmen. Denn zu unserer Nachhaltigkeitsdefinition gehört es, nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch nachhaltig zu handeln.
Die Veranstaltungsbranche ist auf Planungssicherheit angewiesen. Wie bewerten Sie die aktuellen politischen Rahmenbedingungen in Deutschland und der EU? Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Die Rahmenbedingungen, die den Veranstaltungs-Centren von nationaler und europäischer Politik gegeben werden, sind durchaus herausfordernd. Neu ist das allerdings nicht.
In manchen Aspekten werden die Bedürfnisse unserer Branche von der handelnden Politik noch immer unzureichend berücksichtigt. Einer dieser Aspekte ist z.B. das Thema Arbeitszeiten.
So fordern wir eine Reformierung des deutschen Arbeitszeitgesetzes, das in seiner aktuellen Form überhaupt nicht zu der Realität und den Bedürfnissen von Arbeitgebern und Arbeitnehmer:innen unserer Branche passt. Hier streben wir einen flexibleren Rechtsrahmen nach österreichischem Vorbild auch für Deutschland an.
Darüber hinaus fordern wir eine leichtere VISA-Vergabe und einen gezielten Abbau ausgewählter Bürokratie- und Verwaltungsauflagen.
Um Verständnis für die Branche vermitteln und einen direkten Draht in die verschiedenen Regierungen pflegen zu können, brauchen wir ebenfalls eine eigene Ansprechperson für die Veranstaltungswirtschaft in den Wirtschaftsministerien.
Welche Rolle spielen Kooperationen und Netzwerke wie der EVVC, um Veranstaltungsorte und -zentren besser auf aktuelle Herausforderungen vorzubereiten?
Verbände spielen bei diesem Thema eine immens große Rolle. Der Wissenstransfer und der qualitative Austausch ist einer der wichtigsten Aufgaben unseres Verbands. Die enorme Vielfalt unserer Mitglieder in Bezug auf Größe, Region, Organisationsform, uvm. ist optimal, um unter unseren Dach Voneinander zu lernen.
Als Verband haben wir außerdem den Finger am Puls der Zeit und spiegeln neue Entwicklungen, Trends und Innovationen in die Mitgliedschaft.
Dass diese Gemeinschaft geschätzt wird, zeigt uns das Feedback unserer Mitglieder sowie das anhaltende Interesse immer neuer Veranstaltungs-Centren an einer Mitgliedschaft im EVVC.
Das Bedürfnis nach persönlichem Austausch ist groß, aber die Konkurrenz durch digitale Angebote wächst. Wie können physische Veranstaltungen wieder stärker punkten?
Die Attraktivität von Präsenzveranstaltungen ist meiner Ansicht nach ungebrochen. Gerade in einer Welt, in der sich unsere „Screentime“ beruflich und privat immer weiter erhöht, bleiben physische Veranstaltungen wichtig.
Damit das auch so bleibt, dürfen die Präsenzveranstaltungen aber nicht schlafen: Veranstaltungs-Centen sollten in Innovationen investieren, denn interaktive Formate oder Technologien wie Augmented Reality werden bei Präsenzveranstaltungen immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Was trotz moderner Technik und neuer Formate aber bleibt, ist die immersive, menschliche Experience und dieser spezielle „Erlebnisfaktor“, den eben nur physische Events bieten können. Präsenzveranstaltungen sind und bleiben die Möglichkeit, Menschen und ihre Ideen zusammenzubringen und Gemeinschaft am Leben zu erhalten.
Ein Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie die Veranstaltungsbranche in fünf Jahren, und welche Rolle wird der EVVC dabei spielen?
Trotz aller auch hier angesprochenen Herausforderungen bin ich optimistisch, was die weitere Entwicklung der Branche angeht. Ich denke, dass wir bald die Umsatz- und Veranstaltungszahlen des Vor-Corona-Niveaus übertroffen haben werden und auf dem Weg Richtung Klimaneutralität große Schritte in der digitalen und nachhaltigen Transformation gegangen sein werden.
Um bei der Allegorie zu bleiben: Für das Gehen dieser großen Schritte wird der EVVC die Stiefel schnüren und Wegweiser aufstellen.
Ich sehe den Verband in der Zukunft als starken Partner der Veranstaltungs-Centren nicht nur im ideellen Bereich (Austausch, Networking, Innovationstreiber, Interessenvertretung), sondern als Drehpunkt für alle Bedürfnisse von Veranstaltungslocations, die von uns entweder über eigene Angebote oder Partnerunternehmen gedeckt werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Quelle: Messe & Event Magazin